Energisch wird an meine Bürotür geklopft und bevor ich „herein“ sagen kann, öffnet sich die Tür. Eine Dame mittleren Alters kommt ins Zimmer, im Schlepptau einen jungen Mann. Sie baut sich vor meinem Schreibtisch auf, reicht mir ihre Hand und säuselt: „Frau Initiativia, schön Sie kennenlernen zu dürfen, Müller-Mustermann mein Name!“ Ich kenne sie nicht und überlege, woher Sie meinen Namen weiß und bin gespannt, was sie unangemeldet von mir möchte. Schnell erfahre ich den Grund ihres Überraschungsbesuchs.
„Mein Sohn möchte sich bei Ihnen um ein Praktikum bewerben!“ – „Wir wollen uns initiativ bewerben!“ fügt sie stolz hinzu. Sie dreht sich um und zischt in seine Richtung: „Malte-Torben, sag guten Tag und stell dich doch mal vor!“ Artig kommt Malte-Torben zu mir und begrüßt mich. Kaum hat er tief Luft geholt, um etwas zu sagen, kommt seine Mama ihm zuvor.
„Ich darf mich doch setzen, oder?“ fragt sie, macht es sich bequem und fängt an, die Karriere ihres Kindes in den leuchtendsten Farben zu schildern. „Wissen Sie, mein Sohn war ein Achtmonatskind, diese Babys sind ja besonders intelligent und er konnte schon mit 9 Monaten laufen!“ Schnell habe ich auf Durchzug geschaltet und lasse mir den Namen des jungen Mannes auf der Zunge zergehen. Ich stelle mir vor, wie er in der Schule aufgerufen wird. „Malte-Torben Müller-Mustermann – bitte an die Tafel!“ Wahrscheinlich wird das selten passieren, denn allein schon die Nennung des Namens nimmt kostbare Zeit in Anspruch. Solch ein Namensbandwurm kann allerdings auch Vorteile haben. Was wäre, wenn der Knabe in unserem Unternehmen arbeiten würde und ich müsste ihn zurechtweisen? Nachdem ich „Malte-Torben Müller-Mustermann“ gesagt hätte, wäre meine Wut wahrscheinlich schon verraucht. Um wieviel leichter ist es doch, zu brüllen: „Schmidt, das ist absoluter Mist, was Sie hier gemacht haben!“
Kurz habe ich Augenkontakt mit M-T (ich bevorzuge ab jetzt die Kurzform) und glaube, einen nonverbalen Hilfeschrei zu entdecken, was von seiner Körpersprache unterstützt wird.
Inzwischen ist seine Mutter mit Kindergarten und Grundschule fertig und wendet sich der Oberschule zu. Sie bedauert, dass Sohnemann beim MSA „nur“ einen Notenschnitt von 1,4 erreicht hat. „Wissen Sie, er könnte so viel besser sein. Aber beim Mündlichen, da hapert es immer. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum der Junge so zurückhaltend ist?!“ Sie dreht sich um „Sag doch auch mal etwas, Malte-Torben!“ Würde er vielleicht, wenn er könnte und dürfte, denn die Mama leitet wieder einen Satz in gewohnter Art sein. „Wissen Sie, mein Mann sagt immer, der Junge soll Sport machen. Fußball oder Kampfsport! Wissen Sie, was da passieren kann? Da mache ich nicht mit!“
Dass auch ich innerhalb der letzten Viertelstunde kein Wort gesagt habe, scheint der Guten entgangen zu sein und so fördert sie aus ihrer riesigen Tasche eine Bewerbungsmappe hervor. Nun ist der Punkt für Sie gekommen, die Praktika ihres Kindes und seinen Weg zum Abi zu schildern. Ich dagegen wüsste zu gern, was sich in dem kofferartigen Gebilde neben ihrem Stuhl befindet. Wahrscheinlich grinse ich ziemlich dämlich, als ich versuche, den Inhalt zu erraten. Eine Trinkflasche fürs „Kind“ vielleicht, eine Brotbox, Verbandszeug, natürlich Schal, Mütze und Handschuhe und vielleicht ein oder zwei Regenschirme.
Ich tauche erst wieder aus meinen Gedanken auf, als es völlig ruhig in meinem Büro ist. Irritiert bemerke ich, dass Frau Müller-Mustermann mich erwartungsvoll anschaut. Sie ist fertig mit ihrem Monolog und möchte anscheinend ein Statement von mir. Bedeutungsvoll schaue ich auf meine Armbanduhr, stehe auf und reiche ihr die Hand. „Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Unternehmen! Nachdem ich mir die Bewerbungsunterlagen angesehen habe, werde ich mich unaufgefordert bei Ihnen melden!“
Malte-Torben-Mama ist sprachlos, als ich sie zur Tür geleite und MT grinst das erste Mal. Hinter ihrem Rücken macht er das bekannte „Like-Zeichen“ in meine Richtung und beide entschwinden. Er wortlos, Frau Müller-Mustermann hat immer noch Gesprächsbedarf.
Erschöpft falle ich auf meinen Schreibtischstuhl und mir fällt ein Lehrgang ein, den ich einmal besucht habe. Eine Lektion war so genannten „Helikopter-Eltern“ gewidmet. Das sind Eltern, die es zu gut mit ihrem Nachwuchs meinen, nicht loslassen können und ständig um und über ihren Kindern kreisen. Damit ist nicht Fürsorge gemeint, sondern Einmischung, Überbehütung und durchaus auch Kontrolle von (erwachsenen) Kindern. Mein Telefon klingelt, MT fragt, ob ich kurz Zeit habe für ihn. Er will sich für den Auftritt seine Mutter entschuldigen und bittet darum, seine Bewerbungsunterlagen einfach zu ignorieren. Denn er hat bereits einen Ausbildungsvertrag unterschrieben, was er allerdings noch seiner Mama beibringen müsse. So kann ich ihm beruhigt alles Gute wünschen und mich mit ihm freuen!
Einen schönen Wochenstart wünscht
Ihre Heidi Initiativia