Ich bin der Typ Mensch, der vieles auf Anhieb versteht und dafür manche Dinge nie. Egal wie sehr ich mich anstrenge. Zum Beispiel rechts und links. Das ist ein Phänomen, das sich mir auf ewig verschließen wird. Gern erinnere ich mich an meine Fahrschulzeit, besonders an die Prüfung. Der Prüfer wies mich damals an: „Bei der nächsten Gelegenheit biegen Sie bitte rechts ab!“ Zielsicher setzte ich den Blinker links und wollte auch nach links abbiegen. Zu meinem Nachteil befand sich dort das Ende einer Einbahnstraße, mein Fahrlehrer musste mich ausbremsen und meine Führerscheinprüfung endete an genau diesem Punkt.

Besonders nett ist solche Rechts-Links-Schwäche beim Kartenlesen. Denn auch mein Orientierungssinn ist nicht wirklich ausgeprägt. Ein Manko, das vielen Frauen (natürlich zu Unrecht) untergeschoben wird. Dank der freundlichen Stimme beim Navi ist dieses Problem nahezu unwichtig.

Das alles belastet mich aber noch nicht so sehr, dass ich den Vorschlag meiner Tochter umsetzen würde. Sie hatte nämlich den genialen Einfall, ich solle mir auf den Handrücken jeweils ein „R“ und ein „L“ tätowieren lassen.  Nette Idee, aber im Prinzip brauche ich das nicht wirklich. Solche kleinen Ausrutscher können schließlich jeden passieren.

Beruhigend ist nur, dass jeder von uns mehr oder weniger kleine Schwächen hat. So auch meine Kollegen.  Und deshalb sind sie mit mir nachsichtig. Meistens jedenfalls.

Neulich im Lager.
In Serge´s Händen liegt die Aufsicht über die Arbeitsmaterialien. Als ich den Raum betrete, ist er schwer beschäftigt und will nur ganz kurz wissen, was ich brauche. Mein Druckerpapier ist alle. „Nimmst du es dir bitte selbst?“ fragt er. „Im hinteren rechten Regal ganz oben links.“ Ich bewundere insgeheim, was er alles auswendig weiß und begebe mich auf die Suche. Meine Odyssee beginnt an der Tür der riesigen 25 Quadratmeter. Das hintere Regal sollte zu finden sein. Obwohl – meint Serge „hinten“ von seiner Perspektive aus oder von meiner? Ich lasse mir keine Unsicherheit anmerken und strebe zielsicher den Punkt an, den ich als hinten festgelegt habe.

Sie müssen wissen, der ganze Raum ist voller deckenhoher Regale und viele der Produkte befinden sich in Kartons. Diese sind zwar akkurat beschriftet, aber in normaler Schriftgröße. Nun kommt ein weiteres Hindernis. Ich selbst bin gerade mal 1,60 m groß, die Raumhöhe beträgt knapp 3 Meter. Wie in aller Welt soll ich ohne Brille entziffern, was ganz oben auf den Schildchen steht?
Ein kurzer Blick zu Serge zeigt, dass er in seine Arbeit vertieft ist und ich mich im Moment nicht zu beobachtet fühle brauche.

Der Mutigen gehört die Welt. Ich identifiziere das hintere rechte Regal (denke ich jedenfalls) und stelle die Leiter an. Zum Glück habe ich keine Höhenangst.  „Ganz oben“, das ist eine Aufgabe, die ich lösen kann.  Ich sichte den Karton, der meiner Meinung nach ganz links steht und kneife die Augen zusammen, um das winzige Schildchen zu lesen. Serge muss sich geirrt haben, denn hier steht „Zeichenblöcke“.

Ich rufe von ganz oben „Serge – hier ist kein Kopierpapier!“ Serge schüttelt den Kopf. „Mensch Heidi, das lernst du wohl nie! Ich habe gesagt, du sollst im rechten Regal oben links nachsehen. Du kramst gerade im linken Regal herum!“ Meine Güte, muss der denn so unfreundlich sein? Das kann doch jedem passieren. So flöte ich ein kleinlautes „Danke“ und stelle die Leiter um.
Endlich – genau dieser Karton muss es sein. Wieder ein Fehlgriff, wahrscheinlich hat Serge doch nicht alles wirklich im Griff. Ich sehe mich in der Position, ihm eine Retourkutsche zu erteilen und weise ihn zurecht. „Vielen Dank übrigens, dass ich nun umsonst hier oben hänge. Du müsstest dein System mal reorganisieren. Oder an deinem Gedächtnis arbeiten! Hier ist kein Kopierpapier!“

Nun steht Serge auf und kommt zu mir. Mit seiner imposanten Größe von 1,98 m kann er mir fast in die Augen sehen, obwohl ich auf der Leiter stehe. Er muss auch nicht schreien, sondern ist ruhig. Gefährlich ruhig. Er flüstert fast. „Heidi, LINKS! Das andere links – nicht dein links!“ Dreht sich um und geht.

Ich erkenne, dass ich mich wieder auf der falschen Seite befinde und schaffe es anschließend endlich, mir das gewünschte Arbeitsmaterial zu organisieren. Künftig werde ich solche Aufgaben delegieren.
Jetzt ist zuerst einmal eine Entschuldigung fällig. Und vielleicht werde ich mir heute mal ein paar Adressen von Tattoo-Studios heraussuchen…..

Ihre Heidi Initiativia

 

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