Evi sitzt heulend auf der Treppe, als ich zu meinem Büro gehen will. „Moment mal Schatz“, bitte ich meinem Herzallerliebsten, mit dem ich gerade telefoniere.
Sie müssen wissen – ich kenne unsere Putzfee Evi seit über 10 Jahren nur gut gelaunt. Sie ist quasi die Mutti unseres Betriebes, kümmert sich um die Bedürfnisse aller und hat immer einen guten Rat. „Was ist passiert?“ will ich wissen und lege ihr mitfühlend meine Hand auf die Schulter, was dazu führt, dass mein Smartphone auf den Boden fällt. „Na das!“ schluchzt sie und zeigt auf mein allerliebstes Kommunikationsgerät. (Hoffentlich hat es den Sturz gut überstanden, denke ich. Nett von Evi, dass sie bei ihrem Kummer auch noch an mein Handy denkt.)
Ich hebe das Gerät auf, bin erleichtert, dass damit alles in Ordnung ist und verabschiede kurz meinen Mann. Evi dirigiere ich mein Büro und setze sie in meinen Besucherstuhl. „Erzähl mal – was ist denn los?“ fordere ich sie auf, während ich nebenbei meinen Computer einschalte.
Sie schnieft immer mehr: „Sie sind eben wie alle anderen!“ Wie jetzt – was habe ICH ihr denn jetzt getan? Nun verstehe ich die Welt nicht mehr. Lange darüber nachdenken kann ich nicht, denn das Sekretariatstelefon klingelt. Zwar haben wir noch keine Öffnungszeit, aber es könnte ja wichtig sein und so melde ich mich. „Firma Mustermann, Sie sprechen mit Heidi Initiativia. Was kann ich für Sie tun?“ Schnell bin ich mit dem Kunden beschäftigt, suche dessen Auftrag im PC und als ich nach einigen Minuten auflege, ist Evi verschwunden. Ganz leise und unauffällig war sie gegangen.
Dafür kommt Sara, unsere Azubine in mein Büro und schnaubt verächtlich: „Puh….ist die mies drauf….willkommen im 21. Jahrhundert sag ich nur!“ Ich verstehe nur Bahnhof, bis Sara mich aufklärt, dass es um Evi geht und um das Problem, das diese gerade hat.
Evi hatte Sara erzählt, wie sehr sie darunter leidet, dass kaum jemand noch richtig miteinander redet. Alles geht über das Internet oder über das Smartphone. Man mailt sich, chattet miteinander oder präsentiert sein Leben in sozialen Netzwerken. Wenn jemandem etwas nicht passt, geht er „off“ und muss sich nicht mehr mit anderen auseinander setzen. Man kann nicht mehr an der Mimik und der Körpersprache ablesen, was der andere fühlt. Das war jedenfalls Evis Meinung, Sara sieht das ganz anders, denn sie gehört der „Generation WhatsApp“ an. Sie selbst ist eine scheinbar unlösbare Symbiose mit ihrem Smartphone eingegangen und bei ihr ist der Weltuntergang nahe, wenn der Akku alle ist und sie kein Ladegerät anschließen kann.
Mich macht das nachdenklich, denn als Personalchefin weiß ich, wie wichtig Kommunikation im Job ist. Ebenso weiß ich, wie wichtig persönliche Wahrnehmungen bei der Bewerberauswahl und der Mitarbeiterführung sind und welch hohen Stellenwert die Softskills bei der Arbeitsplatzsuche und später im Team haben.
So bespreche ich das Thema mit meinem Chef, denn zufriedene Mitarbeiter werden bekanntlich weniger krank und kündigen seltener. Wie könnte man auf die Bedürfnisse von Evi reagieren? Wie stehen die anderen Mitarbeiter dazu? Fühlen diese sich auch öfter gar nicht wirklich wahrgenommen? Wir beschließen eine Mitarbeiterversammlung zur Meinungsbildung und Lösungsfindung.
Freitag beenden wir die Arbeit eher, der Chef holt höchstpersönlich ein riesiges Kuchenpaket und ich koche ein paar Kannen Kaffee. Wir wollen eine entspannte Stimmung schaffen und alles beginnt mit einer Rede von unserem Boss.
Er erklärt, wie sehr ihm an jedem einzelnen von uns liegt. Wie wichtig es ist, dass gerade in solch einem kleinen Unternehmen wie bei uns alle zusammenhalten müssen. Und dass er immer Ansprechpartner sein möchte, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Es folgt ein gekonnter Übergang. „Wo wir gerade bei Problemen sind. Hat jemand etwas auf dem Herzen?“ Schweigen macht sich breit. Sara hat ihr Smartphone in der Hand und sieht gelangweilt aus dem Fenster. Otto, der eigentlich immer etwas zu sagen hat, analysiert das Fliesenmuster auf dem Fußboden. Wenigstens Igor macht den Mund auf – aber nur um ein weiteres Stück Kuchen zu verspeisen. Irgendwie muss ich dem Chef zur Seite stehen, denke ich und hole gerade tief Luft, als laut und nervend ein Handy klingelt. Sofort fällt mein strafender Blick auf Sara, die allerdings nur die Schultern zuckt. Die erste Zeile eines bekannten Schlagers schallt weiter durch die Gegend, während Evi in ihrer riesigen Tasche herumkramt.
Na toll, jetzt sucht sie bestimmt Taschentücher, weil nicht einmal in solchen Momenten die digitale Welt ausgeschlossen wird. Ich will sie trösten und stehe auf, um zu ihr zu gehen, bleibe aber nach wenigen Schritten erstarrt stehen. Was glauben Sie, was ich sehe? Evi hält ein Smartphone in der Hand und tippt verzweifelt darauf herum. Sicher, um es zum Schweigen zu bringen. Sie sieht mich und grinst „Naja, man muss mit der Zeit gehen, oder? Ich komme nur noch nicht richtig mit dem Ding klar!“
Mein (unser) Chef schaut völlig konsterniert drein, fängt sich aber schnell wieder. Er verkündet, dass er künftig mit jedem seiner Mitarbeiter einmal im Monat ein Gespräch führen wird. Außerdem soll einmal im Vierteljahr eine gemeinschaftliche Aktion stattfinden. Frei von äußeren Einflüssen. Nun schaut er zu mir: „Frau Initiativia wird die Planung gern vornehmen, nicht wahr?“
„Gern, lieber Chef!“ Und – abgesehen vom Auslöser – diese Idee finde ich richtig gut.
Einen schönen Tag wünscht
Heidi Initiativia